Das Werden des Geistes | |||||||||
|
|||||||||
© Lothar Seckinger • Köln 2008-2019 | Only in terms of gestures as significant symbols is the existence of mind or intelligence possible; only in terms of gestures which are significant symbols can thinking - which is simply an internalized or implicit conversation of the individual with himself by means of such gestures - take place.
George Herbert Mead |
||||||||
Bewusst-Sein![]() ![]() Gibt es ein Bewusstsein ohne Sprache? Was könnte das sein? Und was ist und auf was bezieht sich dann das "sprachliche" Bewusstsein? Die Aussage "bei Bewusstsein sein" ist problematisch, da sie den einfachen Zustand des "Wachseins" im Gegensatz zum "Schlaf" oder "Koma" in der Dimension des Seins mit dem "sich in der Dimension der Sprache orientieren können" vermischt. Nichtsprachliche Wesen sind wach oder schlafen oder sind im Koma oder in anderen rein körperlichen Zuständen. Im wachen Zustand können sie sich im belebten und unbelebten Kosmos orientieren und anschlussfähig bewegen bzw. agieren sowie reagieren. Können sie das nicht, sind sie schnell dem Tod geweiht. Mit Bewusstsein hat das jedoch nichts zu tun. ===> Aufmerksamkeit versus Bewusstsein!!!!
Trennen wir den Begriff Bewusstsein folglich einmal in bewusst sein. Was also bedeutet es, bewusst zu sein? Impliziert das nicht zwingend, eine Vorstellung vom eigenen Sein zu haben? Was aber ist eine Vorstellung vom eigenen Sein? Als ein Hinweis auf das Vorhandensein von Bewusstsein oder sogar Selbstbewusstsein wird immer wieder der Spiegeltest erwähnt. Ein Lebewesen ist dabei zunächst dazu fähig, sich im eigenen Spiegelbild zu erkennen und darin nicht etwa einen Artgenossen zu vermuten. Darüber hinaus fällt ihm ein unbemerkt angebrachtes Merkmal - wie z.B. ein Farbfleck auf der Stirn - sofort als ungewöhnlich und störend auf, weshalb es prompt versucht, das Mal vom eigenen Körper zu entfernen. Stellen wir die Frage deshalb einmal anders: was kann die Entdeckung eines kausalen Zusammenhangs zwischen den eigenen körperlichen Zustandsempfindungen und dem wahrgenommenen Verhalten des Wesens im Spiegel in einem sprachlosen Wesen auslösen? Es kann ja nicht daraus schließen, das bin ich, denn das würde Sprache voraussetzen. Was aber könnte es dann "denken" oder darin "erkennen"? Bei der allerersten spiegelbildlichen Begegnung wird das Wesen im Spiegel unbestreitbar als Geschöpf der eigenen Art identifiziert, denn davon hat jede Spezies eine evolutionär geformte, klare phänomenale Repräsentation entwickelt. Im ersten Moment ist dieses Wesen allerdings noch unbekannt, weshalb normalerweise eine Reaktion erfolgt, als wäre ein Zusammentreffen mit einem fremden Individuum der eigenen Art eingetreten. Das Fremdsein löst somit zunächst Unsicherheit und je nach dem Charakter des sich selbst Betrachtenden die entsprechende Mischung aus den Emotionen Furcht und Aggression aus. Nur in der Obhut oder Gefangenschaft des Menschen können lebende Geschöpfe Erfahrungen mit Spiegeln machen. Im relativ ungefährlichen Lebensraum eines Käfigs können ausreichend dauerhafte und wiederholte Begegnungen mit dem eigenen Spiegelbild stattfinden. Aber selbst unter derart unnatürlich günstigen Bedingungen konnten nur wenige von Natur aus sehr neugierige und in ihrer sozialen Organisation wie auch ihren kognitiven Fähigkeiten ausreichend weit entwickelte Exemplare von Menschenaffen und Vögeln nach und nach die Entdeckung machen, dass die Situation allein durch eigenes Verhalten unter Kontrolle ist. Angst weicht mehr und mehr dem angeborenen Spieltrieb und dem damit verbundenen, ebenfalls angeborenen Wissensdrang. Über ein relationales Spiel mit dem spiegelbildlichen Gegenüber, das unter anderem Grimassenschneiden, gezieltes Gestikulieren wie auch die aufmerksame Betrachtung und Betastung von ansonsten dem Blick nicht zugänglichen Körperteilen umfassen kann, reift die Erkenntnis heran, dass die Gestalt im Spiegel immer das tut, was dem eigenen Körperempfinden entspricht. Bewegungsabläufe, Berührungen durch Hände und Füße, alles was die eigenen Körperzustände und die eigenen Tast- sowie Berührungssinne vermitteln, entsprechen dem im Spiegel Gesehenen. Aber kann nun allein dadurch, dass ein sprachloses Lebewesen die Bewegungsabläufe seines spiegelbildlichen Gegenübers richtig deuten kann und sich anschließend so verhält, als ob es sich selbst darin erkennen würde, schon eine Vorstellung vom eigenen Selbst und darauf aufbauend vom eigenen Sein entstanden sein? Oder ist es nicht vielmehr so, dass diese Wesen schlicht die unmittelbare Parallelität zwischen den eigenen Handlungsabläufen und deren spiegelbildlicher Repräsentation erkannt haben und sich entsprechend verhalten? Der Griff nach dem Farbklecks auf der eigenen Stirn erfolgt also nicht aus einem Bewusstsein über das eigene Selbst heraus, sondern lediglich aufgrund der zuvor erkannten und erlernten spiegelbildlichen Effekte. Im Verhaltensrepertoire des sprachlosen Seins kommt ein Selbst weiterhin nicht vor. Kein sprachloses Lebewesen hat deshalb auch jemals einen Artgenossen herbeigeholt und ihm andeuten können, dass das eigene Spiegelbild es selbst und das des Anderen das Spiegelbild des Anderen sei. Können wir nun daraus schließen, dass ohne Sprache keine Referenz zur eigenen Existenz enstehen kann und sprachlose Lebewesen existieren, ohne mental realisieren zu können, dass sie existieren, mithin Sprache eine Bedingung für ein bewusstes Sein ist? Merlin Donald schreibt dazu in "A Mind So Rare": Mit "mimesis" ist dabei die Pantomime als Kommunikationsmedium gemeint, die in den ersten Lebensphasen der Gattung Homo sicherlich dazu diente, die zunehmenden kommunikativen Anforderungen des Lebens in der Savanne bewältigen zu können. Über die Notwendigkeit, durch gezielt ausgeführtes körperliches Gebärdenspiel Information übertragen und die Gesten der anderen letztendlich auch deuten zu können, musste die intendierte Botschaft in einen kausalen Zusammenhang zu den körperlich verfügbaren Ausdrucksformen gebracht werden. Brain storming ===> Wie aber könnte es allein durch elaborierte körperlich-symbolische Repräsentation des real-existierenden Universums zu der Erkenntnis des eigenen Selbsts und mithin der Vorstellung des Seins gekommen sein? Wie überhaupt sieht die Repräsentation des eigenen Selbsts ohne Sprache in der Pantomime und bildlich-akustischen Darstellung aus? Ist dadurch die nötige intrasubjektive Reflexion möglich, in der das eigene Selbst Gestalt annehmen und eine Kontemplation des Seins sattfinden kann? Ich habe da meine Zweifel, vor allem, weil die Bandbreite der symbolischen Repräsentation durch die Pantomime und die bildliche Darstellung die Komplexität der wahrnehmbaren Umweltphänomene nicht ausreichend differenzieren und damit eindeutig genug erfassen kann. Damit bleibt einerseits ein intersubjektiv äußerst instabiler Interpretationsspielraum entsprechender symbolischer Repräsentation, und andererseits fehlt auch ein ausreichend nuanciertes Medium, um ein Selbst, ein "Ich" intersubjektiv, vor allem aber intrasubjektiv symbolisch-repräsentativ darzustellen. Die Vorstellung von einem Selbst beinhaltet natürlich eine differenzierte Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit und der Wirkungen entsprechend körperlicher Handlungen. Aber diese bekommen ihre Bedeutung immer nur im Zusammenhang mit dem Anderen. Nur in der Kommunikation mindestens zweier Gehirne kann in deren gemeinsam konstruiertem Bedeutungszusammenhang ein Ich und ein Du entstehen. Pantomimisch ist das nun äußerst schwer!! Wie sollte eine pantomimische oder bildliche Darstellung des eigenen Selbst nun denn aussehen? Die einfache Aussage, das bin ich, ist pantomimisch wie auch bildlich äußerst schwer darzustellen. Spiegel waren in der trockenen Savanne so gut wie nie vorhanden, was den Zugang zur eigenen Äußerlichkeit sehr erschwert haben dürfte.
Der Schlüssel, um dies zu verstehen, ist die erforderliche Intersubjektivität. Bewusstes Sein kann in keinem singulären Gehirn entstehen. Erst über die Verbindung zweier Gehirne in einem gemeinsam konstruierten Bedeutungszusammenhang wird die eigene und die Existenz des anderen "erkennbar". Bewusstes Sein setzt eine Vorstellung vom eigenen Selbst voraus. Ohne ein Selbst ist ein individuelles Sein nicht denkbar. Im ersten Schritt zum bewussten Sein muss ein Lebewesen somit zunächst die Existenz des eigene Selbsts erfassen können. Das eigene Selbst ist nun jedoch nur dann zugänglich, wenn eine Referenz, ein Bezugspunkt besteht, der die physischen Grenzen des Seins überwinden kann. Da die Welt nicht voller Spiegel ist, in denen wir uns ständig selbst beobachten können, bleibt nur die Sprache, in der wir über eine virtuelle Referenz unseres physischen Seins uns selbst zum Thema machen und dadurch unser Verhalten referenzieren und beobachten können. Auf dem Weg zum bewussten Sein überwinden wir die Grenzen unserer physischen Existenz, um über eine virtuelle sprachliche Referenz Selbstbeobachtung möglich zu machen. In der rein körperlich-physischen Dimension gibt es somit kein Bewusstsein, sondern nur Sein. Der Körper ist, verhält sich in seinem Milieu, ist sich dessen jedoch nicht "bewusst". Erst in der sprachlich-virtuellen Dimension entsteht durch eine virtuelle Referenz eine Repräsentation der eigenen Existenz, über die ein bewusstes Sein in der Sprache konstruiert und als Bezugspunkt genutzt werden kann. <=== Brain storming
Sprachliches Gedächtnis Was ist also Gedächtnis und Erinnerung in der Dimension der Sprache? Wozu benötigen wir ein autobiografisches Gedächtnis, Faktengedächtnis, Bekanntheits- oder Vertrautheitsgedächtnis. Doch wohl nur, um uns unseres Platzes in den sprachlich-virtuellen Sinnkonstruktionen unserer Spezies zu versichern und damit darin anschlussfähig, also nicht verrückt zu sein. Anatomisch schlecht dazu gerüstet, erfanden wir technische Medien wie die Schrift, um die komplexen Bezüge unserer Hirngespinste nicht zu verlieren. Inzwischen so daran gewöhnt, diese virtuellen Konstruktionen für unser Leben zu halten, bemerken wir nicht mehr, dass unsere singuläre Biografie im Fluss des kosmischen Lebens geringe Bedeutung hat. Sinn Sinn kann nur im intersubjektiven Raum der sprachlich-virtuellen Dimension entstehen. Er wird vom sprachfähigen Menschen konstruiert, wie alles in der Sprache. Im Sein der biologisch-physischen Dimension gibt es keinen Sinn! Dort gibt es nur das Driften der Evolution im Kontinuum der materiellen Genese. Gefühle Die Unterscheidung, die Antonio Damasio zwischen Emotionen und Gefühlen formuliert, ist genial. Emotionen wären danach - in der Dimension des Seins - während der Entstehung und Entwicklung von Leben biologisch kodierte Verhaltensprogramme, mit denen die Evolution das Überleben ihrer Geschöpfe organisiert. Gefühle dagegen wären - in der Dimension der Sprache - die symbolische Repräsentation dieser Emotionen, d.h. mittels der Sprache formulierte Interpretationen und Deutungen der Körperzustände, die sie hervorbringen. Mit dem Begriff Emotionen verweisen wir Menschen somit mittels Sprache auf den von unserer Spezies bei allen Lebewesen beobachteten körperlichen Vorgang und dessen Bedeutung, den er im Zusammenspiel bzw. der Verhaltenskoordination der Kreaturen einnimmt. Emotionen treten folglich bei allen lebenden Geschöpfen auf, regeln deren Verhalten untereinander und in ihrer sonstigen Umwelt. Mangels Sprache sind sich alle nichtsprachlichen Wesen jedoch dessen, was wir als Emotionen bezeichnen, nicht bewusst. Sie verhalten sich einfach so, wie es ihnen ihre spezifische phylogenetische und darauf aufbauende ontogenetische Lebensentfaltung bestimmt, ohne dies in einer symbolischen Form zu reflektieren. Wir dürfen nicht das biologisch-physische Phänomen mit dessen sprachlich-virtueller Repräsentation verwechseln, das nur uns Menschen, jedoch keinesfalls den nichtsprachlichen Wesen zugänglich ist. Weshalb ist dann aber die sprachlich-begriffliche Unterscheidung in Emotionen und Gefühle sowie deren Interpretation durch Damasio so interessant? Dazu nochmals ein Zitat aus seinem Buch "Looking for Spinoza", Seite 28: "Emotions play out in the theater of the body. Feelings play out in the theater of the mind." Wir nähern uns der Problematik Körper und Geist, die uns ab jetzt begleiten wird. Damasios Unterscheidung ist der Schlüssel zur "körperlichen" Basis des menschlichen Geistes. Dadurch wird die physisch-neuronale, körperliche Verortung des Geistes in unseren menschlichen Gehirnen möglich, ohne die offensichtliche Virtualität seiner sprachlichen Erscheinungsform einzuschränken. Aber dazu erst weiter unten mehr. Wir benötigen noch ein paar weitere Mosaiksteine, um uns die sprachlich-virtuelle Dimension unserer Existenz zu erschließen. |
|||||||||
==> |