Repräsentation und Phänomen | ||||
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© Lothar Seckinger • Köln 2008-2019 | No creature, including ourselves, receives from its senses more than a selection from the range of information that is potentially available. Creatures get the senses they need for the behaviors they are capable of. If they cease to need them they lose them, as cave-dwelling species lose sight and as the primates, culminating in us, have been losing smell. It follows that what is presented to any species, not excluding our own, by its senses is not 'reality' but a species-specific view of reality - not 'what is out there', but what it is useful for the species to know about what is out there. This species-specific view constitutes what we may call the primary representational system (PRS) of any creature Derek Bickerton The most obvious cases of language-independent thoughts are noninstitutional, primitive, biological inclinations and cognitions not requiring any linguistic devices. John R. Searle |
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Repräsentation
Mit dem Auftreten von Bewegung und deren Grundlage der sonsomotorischen Steuerung kam ein Entwicklungsprozess in Gang, der einerseits die kontrollierte Fortbewegung der Organismen ermöglichte, darüber hinaus aber auch die Gewinnung von Umweltdaten zu einer neuen Herausforderung machte. Wer sich bewegen konnte, musste die Bedingungen eines neuen Standortes erfassen und sein Verhalten entsprechend anpassen, um ihnen adäquat begegnen zu können. Phänomenales Gedächtnis - ohne Sprache Das Überleben selbst einfachsten organischen Lebens ist ohne die Fähigkeit zur Erinnerung, ohne ein Gedächtnis, kaum vorstellbar. Durch diese Einrichtung der Evolution können Lebewesen Erfahrungen zur Optimierung ihres Verhaltens nutzen, die sie mit sich selbst - d.h. mit ihren eigenen Bedürfnissen und Kompetenzen - und in ihrem Lebensraum - d.h. mit den Bedingungen und Möglichkeiten ihres Milieus - gemacht haben. Würde ihnen diese Fähigkeit fehlen, könnten sie jedes lebensbedrohliche oder lebensfördernde Ereignis, das ihnen in ihrem Leben widerfährt, nicht als Basis für eine Verbesserung ihrer Überlebenschancen durch entsprechende Verhaltensanpassungen nutzen. Die grundsätzliche Systematik, die sich dabei erfolgreich etabliert hat, zielt beim Auftreten von aus vergangenen Erfahrungen "bekannten" Schlüsselsignalen auf Vermeidung oder Anstreben entsprechender Zustände bzw. auf Abwendung von oder Hinwendung zu der Ursache der Perturbation ab, je nachdem welchen Effekt das damit assoziierte Ereignis auf die vitalen Lebensfunktionen gehabt hatte. In der Dimension des biologisch-physischen Seins ist nun die Verhaltenssteuerung und Verhaltensoptimierung durch Erinnerungsleistungen ein Vorgang, den die Nervensysteme der Lebewesen selbständig leisten. Wollen wir das aus der Beobachterperspektive verstehen, muss beachtet werden, dass diese Nervensysteme keinen direkten Kontakt zu ihrem inneren wie auch äußeren Milieu haben. Sie können nur aus den Signalmustern der sensorischen Areale des Körpers, in dem sie sich befinden, repräsentativ nachvollziehen, was sich um sie herum abspielt. Rückschlüsse auf die Wirkung der durch sie selbst initiierten Bewegungen können sie somit nur aus den danach und dazu korrelativ empfangenen Signalen entsprechender sensorischer Neuronenareale ziehen. Das sich dabei bildende Muster der rasend schnell eintreffenden Signalkaskaden liefert dann die entscheidenden Hinweise, ob die eingeleiteten Aktionen den richtigen und gewünschten, nämlich Wohlempfinden verstärkenden oder Unwohlsein verringernden Effekt erzielen.
==> mentale Systeme ohne Sprache!! Wir müssen das, was wir "Denken" nennen, klar unterscheiden von den Reiz-Reaktions-Abwägungsprozessen, die in Nervensystemen in unterschiedlichster Komplexität ständig automatisch ablaufen und den Metabolismus, das Verhalten und die Aufmerksamkeit eines Lebewesens autonom steuern. Organische Systeme, die aus einer Vielzahl von spezialisierten Zellen bestehen, regeln ihren Stoffwechsel und ihr Verhalten gegenüber ihrer Umwelt durch ein geregeltes Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Nervenzellen. Sensorische Zellen vermitteln dem Organismus dabei Daten über den aktuellen Status seiner inneren und äußeren Zustände, während motorische Zellen ihn in die Lage versetzen, darauf zu reagieren. Um das Wesen des "Denkens" nun verstehen zu können, müssen wir noch folgende Aspekte klären und durchdringen: Ein ganz wesentlicher Fakter zum Verständnis der Erkenntnissystematik interneuronaler Netzwerke besteht in der Annahme, dass diese Netzwerke ihre Erkenntnisse nur indirekt durch Korrelationsmuster gewinnen, die sie aus den Signalen herauskristallisieren, die sie ständig von den an sie angeschlossenen sensorischen Nervenzellenarealen erhalten und ebenfalls ständig an die an sie angeschlossenen motorischen Nervenzellenareale abgeben. Aus diesem Tanz der sensor-motorischen Signale und den sich daraus ergebenden Reiz-Reaktions-Korrelationen bilden die interneuronalen Netzwerke Repräsentationen ihres inneren und äußeren Milieus. Ein weiterer wesentlicher Faktor zum Verständnis des Entwicklungspfades hin zum "Denken" ist die Beobachtung, wie Nervensysteme mit zunehmender innerer Körperkomplexität und gleichzeitig ansteigender äußerer Umweltkomplexität umgehen. Prinzipiell geschieht dies durch stringente Ordnung und Kontrolle nach innen sowie Flexibilisierung und Ausweitung der verfügbaren Verhaltenspotenziale nach außen.
==> Der Prozess, der dem Organismus dadurch eine Steuerung ermöglicht, ist in allen Organismen des biologisch-physischen Universums exakt gleich und beruht auf der Tatsache, dass jedes Nervensystem, bestehend aus sensorischen, motorischen und interneuronalen Nervenzellen, sich sein inneres und äußeres Milieu nicht direkt sondern nur über von ihm selbst gebildete Reiz-Reaktions-Korrelationsmuster "erschließen" kann, die sich in seinem interneurnalen Netzwerk stabilisieren. ==> Jedes interneuronale Netzwerk, auch das im Gehirn von uns Menschen, ist somit ein gigantischer Tanz von Korrelationen. Erkenntnis in einem Nervensystem entsteht durch die Stabilisierung von Korrelationsmustern, die sich im interneuronalen Netzwerk eines Gehirns bilden. ==> In einfachster Form erfolgt das Zusammespiel der sensorischen und motorischen Nervenzellen unmittelbar, d.h. ein Impuls sensorischer Nerven löst in den damit verbundenen motorischen Nerven einen entsprechend komplementären, evolutionär erprobten Reflex aus. Der Vorteil solcher Reflexe ist die Schnelligkeit, mit der die Antwort auf ein sensorisches Signal hin erfolgen kann. Der Nachteil ist die geringe Flexibiltät, die ihr Reiz-Reaktions-Schema aufweist. ==> erhalten Daten über ihren inneren Stoffwechsel, also ihr inneres Milieu, und ihre Umwelt, also ihr äußeres Milieu, über spezielle Zellen: die sensorischen Nerven. Über die Signale dieser Nervenzellen lernt der Organismus seinen inneren Zustand und seine Situation im Verhältnis zu seiner Umgebung "(er)kennen". Die Erkenntnisse, die ein Organismus aus den Signalen seiner sensorischen Zellen gewinnen kann würde ihm nun nichts nutzen, wenn er sie nicht überlebensrelevant verwenden könnte. Deshalb verfügt er noch über eine andere Art von speziellen Zellen, die motorischen Nerven, durch die er seinen Stoffwechsel und sein Verhalten gegenüber seiner Umwelt beeinflussen kann. ==> Mit der Entdeckung dieser Interneuronen begann eine Phase in der Entwicklung der Lebewesen, die von ungeheuerer Bedeutung war. Denn durch diese Einrichtung konnten sich die damit ausgestatteten Kreaturen mit derselben anatomischen Struktur unterschiedlich verhalten, d.h. auf Impulse ihres inneren wie äußern Milieus unterschiedlich reagieren. ==> Schon die einfachste Reiz-Reaktions-Abwägung benötigt das, was wir im vorangehenden Kapitel untersucht haben: ein Gedächtnis. ==> Denken unterschiedet sich in einer sehr entscheidenden Art und Weise von reinen Reiz-Reaktions-Abwägungsprozessen: ==> Denken ist letztendlich eine Reiz-Reaktions-Abwägung, d.h. auf die Signale sensorischer Neuronenareale hin erfolgt keine direkte Aktivierung entsprechender motorischer Areale, sondern zwischem den Reizsignalen und den dadurch ausgelösten Aktivierungssignalen finden in interneuronalen Neuronennetzwerken Abwägungs-Prozesse statt, die mehr als nur einen Reaktionsablauf und damit ein stereotypes Verhaltensmuster ermöglichen. Denken basiert somit letztendlich auf dem Vorhandensein eines Gedächtnisses, denn ohne irgendeine Art von Erinnerungsvermögen kann keine Abwägung zwischen unterschiedlichen Verhaltenweisen sattfinden.
====> alte, bereits veröffentlichte Version Denken basiert im Prinzip darauf, dass sich in Nervensystemen im Laufe der Evolution durch Encephalisation zwischen sensorischen und motorischen Zellen kognitive Verarbeitungskapazitäten in Form von neuronalen Netzwerken gebildet haben, die eine Reaktionsabwägung auf einen Reiz hin ermöglichen, d.h. bei einer Perturbation durch sein äußeres oder inneres Milieu kann sich ein Organismus entsprechend seiner inneren sensor-motorischen Entkoppelung unterschiedlich verhalten. Reiz-Reaktions-Abwägungen fallen nun umso differenzierter aus, je mehr Daten aus dem körpereigenen, internen und dem körperexternen, äußeren Milieu erfasst und bereitgestellt werden. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der physischen Anatomie der Lebewesen und der gleichzeitigen Entwicklung der Sinnesorgane stieg die Komplexität dieser Aufgabe exponentiell an. Das Überleben eines Organismus hing zunehmend davon ab, wie schnell er auf interne wie externe Reize bzw. Milieuveränderungen adäquat reagieren und sich entsprechend angemessen verhalten konnte. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit der sensorischen Zellverbände sowie die Erhöhung von neuronalen Verarbeitungskapazitäten und dadurch möglichen Verhaltensoptionen bedeutet jedoch nicht, dass daraus automatisch schon "Denken" entsteht. Vielmehr wurden die überwiegenden Reiz-Reaktions-Abwägungen im selektiven Driften der Evolution schlicht ausprobiert und bei Erfolg durch Überleben in das überlebensrelevante Verhaltensrepertoire integriert und beim Auftreten entsprechender Situationen automatisch aktiviert. Nach und nach entstand dadurch in allen Lebewesen eine neuronale Netzhierarchie, die in ihrer Verarbeitungsstruktur einer Pyramide gleicht. Reiz-Reaktions-Abwägungen erfolgen Schicht für Schicht von unten nach oben. Dabei wird die zu verarbeitende Komplexität von Schicht zu Schicht verringert, indem nur diejenigen Impulse in die nächst höhere Ebene weitergegeben werden, für die kein adäquates Reaktionsmuster zur Verfügung steht. In der Spitze der Pyramide treffen dann nur diejenigen Signale ein, für die in der darunterliegenden neuronalen Verarbeitungsmaschinerie keine bereits erfolgreich erprobten Reaktionsmuster bereitstehen. In der Spitze der neuronalen Verarbeitungshierarchie entsteht dann das, was der Begriff Aufmerksamkeit umschreibt. Das Lebewesen muss eine Situation bewältigen, für die kein evolutionär erprobtes Verhaltensmuster zur Verfügung steht. Es muss, möglichst schnell, aus den vorhandenen Daten Schlüsse ziehen, sein Verhalten entsprechend adjustieren. Das eigene Handeln wird in diesem Moment in Bezug zu der darauf folgenden Reaktion des inneren oder äußeren Milieus registriert und entsprechend angepasst. Dabei wird das Verhalten des Milieus auf der Basis der jeweils bereits gemachten Erfahrungen beobachtet, eine Hypothese über den unmittelbar weiteren Verlauf erstellt und eine darauf abgestimmte eigene Handlung eingeleitet. Wurde die Situation richtig eingeschätzt, entsteht ein der Situation angemessenes, anschlussfähiges Verhalten, das im besten Fall zum intendierten Ergebnis führt. Aber auch dieser Vorgang der durch Aufmerksamkeit erfolgenden Feinjustierung von Verhalten ist noch kein "Denken". Vielmehr folgt der Rhythmus der Verhaltensanpassungen den Reizen und Impulsen des inneren und äußeren Milieus durch eine höchst automatisierte Feinsteuerung und Verhaltensadjustierung, die autonom in den dafür zuständigen Hirnarealen abläuft. Das Lebewesen weiß nicht, was es tut, es tut es einfach, überlebt, solange sein neuronaler Fehlerkorrektur-mechanismus angemessen auf die Störungen seines inneren und äußeren Milieus reagiert. Tut er dies nicht, resultiert daraus ein der Situation unangemessenes Verhalten, was im extremsten Fall zum Tod des Lebewesens führt. Von "Denken" kann man wohl erst dann sprechen, wenn die Aufmerksamkeit eines Lebewesen von ureigenem Erkenntnisinteresse geleitet wird und einen selbst initiierten Lernprozess durchläuft, an dessen Ende ein Erkenntnisgewinn steht, der in die weitere Aufmerksamkeits- und Verhaltenssteuerung einfließt. Dieser Vorgang setzt noch kein bewusstes Sein (siehe unten) voraus, sondern ist nur eine spezifische Form der Aufmerksamkeitserregung. Der Impuls, der zur Konzentration der Wahrnehmung führt, entsteht aus einer Situation heraus, in der das Lebewesen vor ein komplexes Problem gestellt ist, für dessen Bewältigung keine ausreichenden Erfahrungswerte zur Verfügung stehen. Dieses Problem kann dabei auf keinen Fall ein unmittelbar überlebensrelevantes sein, da ansonsten wieder die evolutionär erprobten automatisierten Regelmechanismen der jeweiligen Spezies einsetzen und jegliches "Denken" unterbinden würden. Selbst initiiertes Denken benötigt Zeit, die nur dann zur Verfügung steht, wenn keine unmittelbar das Leben, die Gesundheit oder elementare Interessen bedrohende Situationen vorherrschen. Nur dann kann sich in einem dazu mental-neuronal fähigen Lebewesen ein Vorgang abspielen, den wir "Denken" nennen. Deshalb dürften die ersten aufmerksamkeitsbindenden Objekte, durch die sich Denken entwickelt hat, den notwendigerweise repetitiven Versuchen relativ passiv ausgesetzt gewesen sein. Komplementär zu den situativen Voraussetzungen, die für den Vorgang Denken gegeben sein müssen, ist das Vorhandensein eines individuellen kognitiven Zieles, das es zu erreichen gilt. Das Problem, das sich stellt, impliziert somit ein vom Lebewesen selbst gewünschtes, vorgestelltes, zu erreichendes Ergebnis. Erst jetzt kann sich ein von den allgemeinen Überlebensbedingungen und den automatischen Regelkreisen der spezies-spezifischen Verhaltenskoordination entkoppeltes, ganz eigenes Wechselspiel zwischen Hypothese, Handeln und Analyse der Ergebnisabweichung einstellen. Das Lebewesen wird zum aktiven Beobachter, erfährt bzw. lernt dabei, was unterschiedliches Handeln in Bezug auf das intendierte Ergebnis bewirkt. Wesentlich ist nun, dass für diesen Vorgang keine Sprache erforderlich ist, da die dabei ablaufende Kontemplation keiner symbolischen Repräsentation durch sie bedarf, solange das Nachdenken auf der Basis unmittelbar wahrgenommener oder bildlich rekonstruierter Objekte und Ereignisse erfolgt. Ein solches phänomenales bzw. bildliches (Nach)Denken kann dabei einen hohen Abstraktionsgrad erreichen und somit, zumindest hypothetisch, aufschlussreiche Erklärungsmodelle für wahrgenommenes Geschehen und daraus abgeleitete, handlungslenkende Anhaltspunkte liefern. Frühe Hominiden dürften am Anfang ihrer Entwicklung ähnlich wie die heute noch lebenden Primaten über ein solches nichtsprachliches Denkvermögen verfügt haben, und sind damit zunächst an dieselben Grenzen gestoßen: das in einem einzelnen Wesen "Erdachte" blieb weitestgehend in seinem Inneren, seinem Gehirn gefangen. Es fehlten die kommunikativen Methoden und Medien, um es mitteilen zu können. Lediglich über direktes Handeln und die Imitation von Vorgemachtem konnten Erkenntnisgewinne mitgeteilt und damit untereinander geteilt und im günstigen Fall tradiert werden. Wie es zu der Erkenntnis selbst kam, ging spätestens mit dem Ableben desjenigen klugen Gehirns verloren, das darauf gekommen war. Aber auch das phänomenale Denken an sich ist gefangen im Augenblick der unmittelbaren Wahrnehmung und den dadurch reproduzierten vagen bildlichen Erinnerungen. Gleichzeitig kann es nur schwer intersubjektiv geteilt und damit kommunikativ verflüssigt werden, was ein gemeinsames "Nachdenken" und damit eine schnellere Problemlösung durch die Kombination mehrere Gehirne und Talente verhindert. Nichtsprachliches Denken kann somit in einem einzelnen Gehirn durchaus einen hohen Abstraktionsgrad erreichen, jedoch nur sehr schlecht den Wirkungsraum desjenigen Gehirns verlassen, in dem es stattfindet. |
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